Rede aus der Gemeindevertretung vom 20.12.2012 – Zweckverband Breitband ja oder nein?

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Gemeindevertreter*innen, werte Gäste,

wir treffen heute eine wichtige Entscheidung, die uns, egal ob wir dem Beitritt zum Zweckverband zustimmen oder ihn ablehnen, die nächsten Jahre, ja Jahrzehnte begleiten wird.
Wir Grünen haben lange und sehr konstruktiv über die Vor- und Nachteile eines Beitritts zum Zweckverband diskutiert. Dabei ging es sowohl um finanzielle, rechtliche als auch um technische Unwägbarkeiten des Projektes.

Technik

Das Vorhandensein von schellem Internet ist schon heute und wird in Zukunft sicher noch verstärkt ein Standortkriterium sein – sowohl für private Haushalte als auch für Gewerbe. Dies wird auch von unserer Fraktion so akzeptiert.
Mit dem Zweckverband soll nun dem Kreis flächendeckend bis 2015 eine Anschlussgeschwindigkeit von 50 Mbit/s zur Verfügung gestellt werden. Knapp 54 % der Einwohner*innen haben in Seeheim-Jugenheim diese Anbindung schon heute, mit Abstand der höchste Wert im Landkreis. Die fehlenden 46 % auch noch anzubinden muss das Ziel sein, aber der Weg dahin ist nicht alternativlos, wie es bei mancher Diskussion um den Zweckverband den Anschein hat.

Zudem entwickelt sich die Geschwindigkeit, bei der wir von einer „schnellen Anbindung“ sprechen, ständig weiter. Ebenso die technischen Möglichkeiten, mit der man diese Anbindung herstellen kann. Der Zweckverband ist darauf ausgelegt, Glasfaserkabel zu neuen Verteilerkästen zu legen und von dort auf den alten Kupferkabeln in die Häuser zu gehen (Fiber-to-the-Curb, FTTC-Verfahren). Gleichzeitig sollen Leerrohre verlegt werden, um später leichter die Anbindung modernisieren zu können. Der Kostenanteil für diese Umsetzungsschritte ist für unsere Gemeinde mit circa 3 Mio € kalkuliert.
Eine spätere Modernisierung muss aber extra geplant und finanziert werden und wird dann wahrscheinlich noch deutlich teurer als das bislang geplante Projekt. Wir erreichen also mit einer Haftungssumme von über 3 Millionen Euro in 2015 eine genausogute, wenn nicht gar schlechtere Anbindung als sie große Teile des Gemeindegebietes heute schon haben.

Auch wenn wir uns als Gemeinde gegen Verfahren wie LTE oder Richtfunk entscheiden sollten,haben wir innerhalb dieser 3 Jahre bereits Möglichkeiten, diese Anbindung anders zu realisieren. So könnten z.B. bei der Erneuerung der Ludwigstraße in Jugenheim Leerrohre verlegt werden und darin Glasfaserkabel eingezogen werden. Die Strecke zum Telekomgebäude im Grenzweg, von wo aus das westliche Gebiet von Jugenheim bereits mit einer 50Mbit/s Anbindung versorgt wird, ist dann nicht mehr weit. Es müsste lediglich ein Lückenschluss erfolgen. Ähnlich kann und sollte bei weiteren Straßenbaumaßnahmen vorgegangen werden.

Ist die Übertragungsgeschwindigket, die sich der Zweckverbank zum Ziel gesetzt hat, in 5 Jahren noch ausreichend? Wird sich bis dahin die Übertragung per Funk durchgesetzt haben? Oder gibt es vielleicht sogar andere Techiken? All dies wissen wir heute nicht! Entscheiden wir uns heute für den Zweckverband, bürgen wir mit 3 Mio € für eine Investition, nämlich, maximal 50 Mbit/s Übertragung per Kabel, die vielleicht in 5 Jahren kaum noch nachgefragt wird. Der Zweckverband wird aber für 20 Jahre weiterbestehen und über diesen Zeitraum auch unsere Gemeindekasse durch die Umlage belasten.

Finanziell

Einer der Hauptgründe für die Gründung des Zweckverbands ist die in einigen Kreisen als Daseinsvorsorge betrachtete schnelle Internetanbindung im Landkreis. Aber weder der Kreis noch die Gemeinden sind in der Lage, diese Anbindung bei der derzeitig schwierigen Haushaltslage zu finanzieren. Also wird über den Zweckverband ein Schattenhaushalt aufgebaut, der zu Beginn die Investitionskosten über Kredit finanziert und hinterher die Kreditkosten und alle laufenden Kosten, die er nicht durch Einkünfte decken kann, über eine Umlage auf die beteiligten Gemeinden und den Landkreis umlegt.

Natürlich gilt es hier auch zu bedenken, dass der Zweckverband uns damit die Möglichkeit bietet, das Verlegen der entsprechenden Rohre zu finanzieren. Würden wir als Gemeinde ein solches Projekt alleine für die bislang nicht mit schnellem Internet versorgten Haushalte in Angriff nehmen wollen, so wären die dazu notwendigen Ausgaben in der aktuellen Haushaltslage nicht aufzubringen.

Denn sowohl der Kreis als auch Seeheim-Jugenheim wie viele andere beteiligte Kommunen sind finanziell nicht auf Rosen gebettet. Die bald wieder beginnenden Haushaltsberatungen werden vom Versuch geprägt sein, das Defizit zu minimieren, verhindern kann man es kaum. Die Haushaltslage ist, nicht nur bei uns, so ernst, dass die Kommunalaufsicht den Haushalt genehmigen muss und zur Konsolidierung mahnt.
Hier müssen wir uns speziell in Seeheim-Jugenheim die Frage stellen, ob wir es uns bei einer schon vorhandenen Breitbandanbindung von 54 % in der Gemeinde leisten können, das Risiko einzugehen, unsere zukünftigen Haushalte mit sechsstelligen Summen zu belasten. So geht man in der Studie schon im dritten Jahr des Bestehens von 53.900 Haushalten aus, die das Angebot, einen Anschluss an das Breitbandnetz, in Anspruch nehmen. Selbst wenn man die demografische Entwicklung im Landkreis außen vor lässt, wären das fast 50 % aller Haushalte im Landkreis. Dies kann man nur als äußerst optimistisch bezeichnen.
Dies auch vor dem Hintergrund, dass wir uns mit dem Breitbandangebot speziell hier in Seeheim-Jugenheim aber auch in anderen Kommunen in direkte Konkurrenz zu privaten Anbietern wie z.B. Telelkom oder Unitymedia begeben, die 1. ihre Netze ganz oder teilweise abgeschrieben haben und 2. durch ihr breiteres Angebot durchaus in der Lage sind, die Preise quer zu subventionieren und somit die selben Leistungen zu Preisen anzubieten, die der Zweckverband nicht darstellen kann. Fallen uns die Kunden in diesen Gemeinden als Nachfrager großteils weg, so müssten in anderen Gemeinden schon Abdeckungen von weit mehr als 60% erreicht werden, um dies auszugleichen. Zumal davon auszugehen ist, dass nicht alle nicht angeschlossenen Haushalte wirklich auch ein Interesse an schnellem Internet haben, und auch, dass innerhalb der Bauphase von 3 Jahren die Anbindung im Landkreis durch Privatanbieter noch weiter verbessert wird. Hier muss noch einmal betont werden: Wir haben hier eine unbegrenzte Nachschusspflicht. Unrealistische Annahmen zur Einnahmensituation des Zweckverbands werden uns über 20 Jahre finanzielle Belastungen bescheren. Und dies für eine eher als freiwillig anzusehende Leistung, denn eine Grundanbindung an das Internet steht ja flächendeckend zur Verfügung. Bei einer negativen finanziellen Entwicklung des Zweckverbands müssen wir die Umlagen an anderer Stelle einsparen, z.B. bei Schwimmbädern, Bibliotheken oder Sportstätten. Wir sollten uns fragen, ob eine schnelle Internetanbindung in diesem Kontext so wichtig ist!

Rechtlich

Viele Kommunen, auch jene die dem Projekt schon zustimmten, haben Bedenken mit der Wahl der Gesellschaftsform Zweckverband und mit der zugehörigen Satzung. Bevor eine solche den Kommunen mit der Aufforderung zur alternativlosen Zustimmung vorgelegt wird, hätte diese im Vorfeld mit den Kommunalparlamenten abgestimmt werden müssen. Der Kompromissvorschlag, die Satzung nun zu beschließen und dann kritische Punkte in der ersten Sitzung des Zweckverbandes zu verändern, bereitet mir Kopfschmerzen. Welche Privatperson würde einen Vertrag unterzeichnen mit der wagen Hoffnung, dass die Inhalte des Vertrages eventuell zu seinen Gunsten, vielleicht aber auch Ungunsten, verändert werden?
Zudem gehen wir hier ein PPP-Projekt ein. Die Gewinne wird der namentlich noch nicht bekannte Provider erzielen, dem von öffentlicher Hand ein Netz zur Verfügung gestellt wird in das er sich einmieten kann. Einfluss haben wir weder auf dessen Preisgestaltung noch auf datenschutzrechtliche Dinge wie zum Beispiel die Dauer der Datenspeicherung beim Provider.

Bürgerbeteiligung

Ich hatte im HFA schon geäußert, dass das Vorhaben viel zu lange am falschen Ort diskutiert wurde. Seit 2009 wird über die Breitbandversorgung der Bürger*innen diskutiert, ohne die Bürger wirklich zu beteiligen.
Wir Grünen setzen uns seit langen für mehr Bürgerbeteiligung ein. Beim Thema Staffelgebühren in Kindertagesstätten oder der Bebauung Fries-Gelände wurde dies mit Bürgerversammlungen umgesetzt. Nun verhandeln wir über ein finanziell viel größeres Projekt und wollen dies quasiohne Bürgerbeteiligung machen? Für uns ist dies nicht nachvollziehbar.

Was uns auch vom Beitritt zum Zweckverband abhält ist der immense Druck, der hier ausgeübt wird. Seit 2009 wird über das Projekt verhandelt, im September diesen Jahres wurde es dann Kommunalpolitiker*innen vorgestellt, zusammen mit der Aufforderung, dass es bis Ende des Jahres beschlossen sein muss.
Warum auf einmal diese Eile? In Seeheim-Jugenheim wurde uns das Projekt sogar erst am 11.12. im HFA vorgestellt. Selbst bei einem privaten Wirtschaftsunternehmen dürfte ein Projekt dieser Größenordnung wohl kaum innerhalb von knapp 3 Wochen durchgewunken werden.

Zusammenfassung

– Wir binden die Gemeinde in 3 Jahren komplett an eine Übertragungsgeschwindigkeit an, die heute schon in weiten Teilen übertroffen wird.
– Die Refinanzierung dafür läuft auch noch, wenn 50 Mbit/s schon längst nicht mehr ausreichend sein werden.
– Die unbegrenzte Nachschusspflicht, einhergehend mit einer wagemutigen Kalkulation seitens des Zweckverbandes, ist ein unkalkulierbares Risiko, welches vorhandene Leistungen der Gemeinde, wie zum Beispiel das Schwimmbad, direkt gefährden kann.
– Quasi ohne Bürgerbeteiligung erfolgt eine Projektrealisierung und damit einhergehend eine unkalkulierbare Kostenbelastung für jeden einzelnen Einwohner.

Wie üblich ist die Abstimmung in unserer Fraktion frei. Jede*r hat sich aus den genannten Argumenten seine Meinung gebildet und es gibt auch bei uns Befürworter*innen des Beitritts. Mehrheitlich sprechen wir uns aber gegen einen Beitritt zum Zweckverband in seiner jetzigen Form und zum derzeitigen Zeitpunkt aus.

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